Was ist befriedigende Sexualität?
Die meisten Paare, die wir begleiten, sind zu Beginn der Paartherapie unzufrieden mit ihrer Sexualität. Für manche Paare ist diese Unzufriedenheit der Hauptgrund, um eine EFT-Paartherapie zu machen. Oft schauen wir auf Sexualität für sich allein, als wäre es abgetrennt von unserer Liebe. Dabei entdecken Paare immer wieder, dass Sex ein Teil Ihrer Beziehung ist. Wie Sie miteinander im Alltag tanzen, wirkt sich auf Ihr Schlafzimmer aus. Dies erklärt Dr. Sue Johnson sehr schön in dem folgenden Video „The New Frontier of Sex & Intimacy“ in ihrem TEDx Talk.
Hier folgend finden Sie einen erkenntnisreiche Text von Sue Johnson von 2016 über Bindung und Sex.
Bindung und der Tanz von Sex
Wo fangen wir am besten an, wenn wir über Sex und Liebe sprechen – und wie bringen wir beides zusammen, so dass beides zusammen funktioniert? Ein großes Thema. Lassen Sie uns mit meiner Mutter anfangen! Meine kleine englische Mittelschicht-Arbeitermutter, die Sex als „lustige fünf Minuten“ bezeichnete, hatte nichts übrig für Mädchen, die zur Universität gingen. Als ich am Ende meines zweiten Semesters nach Hause kam, haben wir uns gestritten. Sie zeigte anklagend auf mich und schrie – „Ich weiß, was du an dieser Universität machst. Ich weiß es. Du hast Orgien, Orgien, wilde Orgien die ganze Zeit über – das machst du.“ Das war sehr lustig, sehr Monty Python, nicht nur, weil meine Mutter nicht wusste, wie man das Wort „ORGIE“ ausspricht, sondern auch, weil an der Universität von Hull, am Rande der Nordsee, gleich neben den duftenden Fischdocks, keine einzige Orgie zu finden war. Aber das ist eine Weile her – jetzt sind Sex und Erotik ganz öffentlich und überall verfügbar. Ich wette, man könnte sogar in meiner kleinen kanadischen Hauptstadt Ottawa eine Orgie finden (die Stadt, die der Fernseh-Moderator John Oliver als „die Stadt ohne Höhepunkt“ bezeichnet, im Gegensatz zu New York, „die Stadt ohne Vorspiel“). Es scheint, als würden wir nun das „solltest“ und die Scham dem Sex entziehen, und zulassen, dass Sex alles sein kann, was eine Person darin sieht. Also alles hat sich geändert. ABER, hat es das wirklich? In vielerlei Hinsicht scheint es, als wäre Sex so getrennt und abgeriegelt vom Rest der menschlichen Existenz – die Realität von menschlichen Beziehungen – wie nie zuvor.
Das Bindungshormon, Oxytocin
Der Bereich der Paartherapie reflektiert dies. Sexualtherapie und Beziehungstherapie/Paartherapie wurden für gewöhnlich von einander getrennt. Wie komisch!! Sue Carter, die neue Leiterin des Kinsey Instituts, die Oxytocin, das Bindungshormon, untersucht, berichtete kürzlich der „USA Today“, dass dies das erste Mal sei, dass das Kinsey Institut „menschliche Sexualität im Zusammenhang mit Beziehungen“ untersucht. Dem stimme ich zu. Eine der ersten Studien, die ich 1992 gelesen hatte, von Hawton, hat gezeigt, dass der Erfolg von sexuellen Stimulationstechniken, wie sinnliche Fokussierung, zu einem großen Teil davon bestimmt wird, inwieweit Paare ihre Kommunikation vor der Behandlung einschätzen. Sicher – Sex ist ein Tanz. Wir können einem Partner eine Technik zeigen, mit der er/sie ihre sexuelle Reaktion ändern kann. Zum Beispiel langsamer werden und den Penis zusammendrücken, um einer vorzeitigen Ejakulation vorzubeugen, aber am Ende ist es das Miteinander – die Qualität der Interaktionen in der Beziehung, welche die Reaktionen im Bett und außerhalb immens formen. Indem wir uns auf unsere individuelle Sexualität konzentrieren, vergessen wir vielleicht, dass wir in erster Linie soziale Bindungstiere sind. Unser Körper und unser Gehirn sind darauf ausgelegt, sich mit anderen im Bett und außerhalb zu verbinden und zu harmonisieren.
Mae West machte die witzige Anmerkung, dass „Sex Emotion in Bewegung“ sei und Bindungen sich rund um Emotion drehen. Emotion ist eine körperliche Empfindung – eine Bedeutung erschaffende Maschine, und wie Sie Ihre Emotionen ausdrücken, ist, wie Sie anderen Signale senden, wie Sie sich für andere einsetzen und sich binden, im Bett sowie außerhalb. Emotion ist der Tanz zwischen Liebenden – sie ordnet Interaktionen.
Wir sagen zu Sex auch „Liebe machen“, und Bindung ist eine Theorie von Liebe und lieben. Sexuelle Anziehung und Verbindung ist ein wichtiger Teil davon, sich zu verlieben, eine Bindung zu formen und aufrecht zu erhalten. Aber auch wenn Bowlby, der Vater der Bindungsforschung, uns sagte, es gäbe drei Aspekte der Liebe unter Erwachsenen – Bindung, Sex und Fürsorge, ist es nicht lange her, dass der eindeutige Zusammenhang zwischen Bindung und Sexualität erforscht wurden. Aber – instinktiv – wussten wir schon immer, dass Sex und Bindung zusammengehören.
Vor ein paar Monaten gab es eine große Robotermesse in Las Vegas. ROXXXY – der Sexroboter war der große Knaller.
Was wirklich faszinierend ist, ist, dass Doug Hines, der Erfinder, den Roboter nicht „Lady Orgasmus“ oder ähnliches nennt, sondern den wahren Gefährten – er sagt den Käufern: „Der Anteil der körperlichen Interaktionen mit Roxxxy wird gering sein – die MEISTE Zeit werden Sie ihre Gesellschaft genießen und mit ihr interagieren“. Übrigens ist sie dahingehend programmiert, dass sie nur über Sex und Sport spricht. Auch Hines weiß instinktiv, dass Menschen, die seinen Roboter kaufen, mehr wollen, als nur einen Orgasmus – sie wollen eine Verbindung.
Die neue Bindungsforschung hat bereits viele wichtige Dinge über Sex ans Tageslicht gebracht – Dinge, die häufig nicht mit dem traditionellen Zeitgeist konform gehen und damit, um was es bei Sex geht und wie er funktioniert. Aber lassen Sie uns zunächst in einer Momentaufnahme ansehen, was uns die letzten 20 Jahre Forschung über Bindung unter Erwachsenen verraten.
5 Gesetze der romantischen Bindung
Die Erkenntnisse über Bindung unter Erwachsenen bieten 5 Prinzipien an – die 5 Gesetze der romantischen Bindung:
- Bindung mit einem Vertrauten ist ein verlockender Antrieb, der seit Millionen von Jahren Evolution im Gehirn von Säugetieren verankert ist. Es dreht sich alles ums Überleben. Ein Baby kommt zur Welt und erwartet, dass die Eltern es versorgen – unser Nervensystem ist für die Verbindung mit anderen konzipiert. Das werden wir nie ablegen. Wir wissen instinktiv – wenn wir rufen, und keiner kommt, sind wir sehr verletzlich. Liebe – von Säuglingen oder Erwachsenen – ist ein altertümlicher eingeprägter Überlebenscode (keine psychotische Mischung aus Sex und Empfindung, die wir entweder annehmen oder auslassen können). Aber es gibt noch andere Gesetze.
- Liebesbeziehungen bieten uns einen sicheren Hafen, in den wir uns zurückziehen, und unser emotionales Gleichgewicht aufrecht erhalten, optimal mit Stress umgehen, flexibel sein und in jegliche Richtungen gehen können – eine sichere Basis, von der aus wir effektiv die Welt erforschen und entdecken können. Paradoxerweise sind wir eher in der Lage, unabhängig zu sein, wenn wir wissen, dass wir nicht alleine sind – und können so unserer inneren und äußeren Welt neugierig gegenüber stehen.
- Wenn wir dieses Gefühl der Verbindung mit einem geliebten Menschen verlieren, erfahren wir emotionale Isolation, Einsamkeit, Panik, Schmerz und Hilflosigkeit. Diese Stressempfindungen können sich steigern und andere wichtige Dinge ausblenden – wie Sexualität.
- Responsivität erschafft Bindungen. Nun kennen wir die Schlüsselelemente, die eine Bindung definieren – die wahrgenommene Zugänglichkeit, Zugewandtheit und das Engagement, die wir für andere aufbringen – „Bist du für mich da?“.
Diese 4 Gesetze geben uns vor, was normal in der Liebe ist – sie bieten uns eine Karte für Liebe und lieben an. Gesetz 5 zeigt uns die Unterschiede auf, inwieweit wir Beziehungen sehen und erschaffen. - Sichere Verbindung mit einem zugewandten, liebenden Menschen unterstützt die gesunde Entwicklung und Funktionsweise, einschließlich eines positiven, stimmigen Gefühls des Selbst sowie Einstimmung auf andere. Wohingegen unsichere Verbindung – ängstliche oder besorgte Bindung und ablehnende oder vermeidende Bindung uns beschränkt – unseren Wachstum hemmt. Diese Bezeichnungen – sicher, ängstlich und ausweichend – beschreiben, wie ein Partner für gewöhnlich mit Emotionen und Reaktionen in intimen Situationen umgeht. Ängstlich angehauchte, angestachelte Nervensysteme sind auf Zeichen der Ablehnung und Verlassenheit eingestimmt. Diese Partner suchen nach einer intensiven Verbindung für Bestätigung, und zugleich fällt es ihnen schwer, zu vertrauen und diese Bestätigung anzunehmen. Um den Schmerz der erwarteten Ablehnung auszuweichen, neigen vermeidende Partner dazu, abzuschalten, Sehnsüchte zu unterdrücken und Unterstützung von anderen abzulehnen. Sie schalten ab und schließen ihre Partner aus, besonders in Situationen, die Nähe erfordern oder wenn Verletzlichkeit ins Spiel kommt.
Diese fünf Prinzipien knacken den Code romantischer Liebe – ein Drama von tiefen, instinktiven Bedürfnissen und existentiellem Terror. Dieser Rahmen hilft uns, zu verstehen, welchen immensen Einfluss die Qualität unserer Liebesbeziehungen auf unser Leben, unsere Gesundheit, unser Glück UND – unsere Sexualität hat. Nun nehmen wir jedes der Prinzipien von Liebesbeziehungen – und sehen, was diese uns über Sex verraten.
Bindung ist DAS primäre Bedürfnis hier – noch mächtiger als Sex oder Aggression. Bedürfnisse von SICHERHEIT & ÜBERLEBEN haben Vorrang. Bindungsrealitäten bestimmen, formen die anderen beiden Aspekte einer Liebesbeziehung – Fürsorge und Sex. Fürsorge und Sex können getrennt von Bindung fungieren, aber meistens bilden sie ein interagierendes System. (Manche Experten konzentrieren sich aber nur auf die Macht des sexuellen Antriebs und behaupten, romantische Beziehungen drehten sich nur um sexuelle Bedürfnisse – nur „frustrierte Bedürfnisse“ – sobald befriedigt, sagt die Theorie, dass Liebe und Bedürfnis unmittelbar in einen unwichtigeren Freundschaftsmodus übergehen.) Erkennt man Bindung als primäres Element an, so liegt der Fokus auf der Tatsache, dass es bei Sex nicht nur um Freude oder Fortpflanzung geht – Sex ist eine mächtige Bindungs-Aktivität. Eine Bindung mit jemandem einzugehen, bedeutet, dass die Person besonders wird – unersetzlich – und Sie wollen auch besonders für diesen Menschen sein. Bindung behauptet, dass es nichts „unnatürliches“ an fortlaufender Monogamie gibt – unser Bedürfnis, uns auf andere zu verlassen, hat unser Gehirn, unser Nervensystem und unsere Hormone geformt. Oxytocin, das sogenannte Bindungshormon oder ‘Molekül der Monogamie’, das Ihr Gehirn beim Orgasmus ausschüttelt, und sogar, wenn Sie nur an Ihren Geliebten denken, bildet den Rahmen für eine optimale sexuelle Erfahrung, indem es das Angstzentrum in Ihrem Gehirn mildert, Vertrauen nährt und Ihnen dabei hilft, die Signale des anderen richtig zu deuten.
Wenn Bindungsforscher bei Männern und Frauen sexuelle Erregung mit unterschwelligen Zeichen auslösen, so berichten diese Menschen, dass sie bereitwilliger emotionale Nähe suchen und Opfer für die Beziehung bringen. Sie haben automatisch Zugang zu mehr bindungsorientierten Reaktionen. Es scheint, als löse Erregung von Natur aus Bindung aus, außer wir schotten uns ab und bemühen uns, emotionale Verbindung zu vermeiden – und halten somit unseren Sex kleinteilig und unpersönlich. Sex unterstützt Bindung völlig natürlich, und effektivere Bindung unterstützt guten Sex.
Oxytocin hemmt zudem die gewohnte Reaktion, so dass die Freude der sexuellen Intimität nicht durch die Entblößung beeinträchtigt ist. Und tatsächlich berichten in der besten Studie Liebende, die schon lange Zeit zusammen sind, von befriedigendem und aufregendem Sex (lassen Sie uns also die alten banalen Behauptungen, inwieweit Zeit und Vertrautheit zwangsläufig Leidenschaft abtöten, durch einen gegensätzlichen Gedanken ersetzen: Übung macht perfekt, vor allem wenn Sie über einen Tanz sprechen – Sex erfordert Teamwork).
Synchronie-Sex
Partner in einer sicheren Bindung haben viel eher, was ich in meinem Buch Halt mich Fest als Synchronie-Sex bezeichne – das erfordert emotionale Präsenz und Einstimmung – offene sensible Responsivität, sowie den vollständigen Einsatz, der nur durch emotionale Sicherheit abrufbar ist. Guter Sex ist ein erstaunlicher Akt von körperlicher, emotionaler und geistiger Zusammenarbeit (ein bisschen wie die Montage von Ikea-Möbeln, aber viel lustiger). Sichere Bindung nährt einen „entspannten und selbstsicheren Einsatz“ beim Sex (Wie geht der Song? – „I want a lover with a slow hand“ (Ich will einen Geliebten mit einer langsamen Hand). Wenn wir Bindung in die Gleichung einsetzen, erhalten wir eine reichhaltige Definition von Leidenschaft, die weit über die einfach Lust hinausgeht. Leidenschaft ist die Sehnsucht nach Bindung – die Sehnsucht nach emotionaler Verbindung verknüpft mit Eingestimmtsein, erotischer Erkundung und Spiel.
Leidenschaft ist so viel mehr als nur die Reaktion auf neue Reize und gesteigerte Lust. Sichere Verbindung ist ein konstanter Prozess von einstimmen, verbinden, sich gegenseitig verpassen, Verbindung verlieren, reparieren und sich wieder verlieben. In diesem Tanz kann Leidenschaft immer wieder erneuert werden, nicht einfach nur, indem man mehr exotische sexuelle Stellungen findet (aber wer kann schon der Faszination der Stellungen wie „Wailing Monkey Climbing Tree“ in der neuen Herausgabe von „Joy of Sex“ widerstehen), sondern indem Sie im Hier-und-Jetzt zusammen mit Ihrem Partner die Ebene Ihres Engagement ändern.
Wenn wir Liebe wirklich verstehen, können wir auch verstehen, wie wir anhaltende Leidenschaft formen.
Dies entdecken wir in einer Zeit, in der wir umgeben sind von unpersönlichem Sex – bis zu dem Punkt, an dem junge Männer regelmäßig Hilfe aufsuchen, da sie ihr Gehirn, seit sie 12 Jahre alt waren, jeden Tag dahingehend trainiert haben, auf Pornobilder zu reagieren, und bei ihrer Freundin keine Erektion mehr bekommen. Ebenso wird uns gesagt, dass Sex in langanhaltenden Beziehungen fast immer langweilig sei. Um überhaupt etwas Würze hinein zu bringen – muss der Sex nur mit regelmäßigen neuen Reizen gesteigert werden, neue Liebhaber, harter Sex, neues Spielzeug. Lassen Sie uns den Unterschied zwischen unpersönlichem – was ich auch als vermeidend gebundenen Sex bezeichne – und Sex, der mit Emotion und Bindung genährt ist, ansehen.
Relevanz des sicheren Hafens
Was ist die Relevanz des Konzepts des sicheren Hafens für Sexualität? Sex in einer sicheren Bindung ist eher ENTSPANNT und vertrauensvoll. Gesteigerte Angst geht mit einem geringeren Maß an Erregung, Intimität und Befriedigung beim Sex einher – sowie abnehmenden Orgasmen bei Frauen. Bindungsangst nimmt gleichzeitig die befriedigende sexuelle Erfahrung und verstärkt den Einfluss auf die Beziehung als Ganzes. Danny erzählt mir: „Wenn Lyn nicht jeden Tag mit mir schlafen will, ist das ein Beweis dafür, dass sie mich nicht wirklich will – mich nicht liebt – und ich habe mich immer so gefühlt.“ Er protestiert gegen die ‚Distanz‘ seiner Frau, indem er Sex einfordert und jedes Mal, wenn sie zögert, bestätigt das seine katastrophalen Ängste. Das führt dazu, dass sie selbstverständlich immer weniger Sex will. Für Danny bestimmt die Häufigkeit der sexuellen Begegnung seine Beziehung. Ein sicherer Geliebter kann die Unterschiede was Verlangen betrifft, tolerieren und deutlicher über sexuelle Probleme sprechen. All jene von uns, die Momente eines sicheren Hafens erleben, tendieren dazu, ein eher positives und verständlicheres Gefühl von sich selbst zu haben – und das beinhaltet auch das Selbst als sexuelles Wesen.
Dieser Fokus von emotionaler Sicherheit kann ein besonders wichtiger Definitionsaspekt in Hinsicht auf Sex bei Frauen sein. Wenn man Männern und Frauen in einem Hirnscanner eindeutige oder unterschwellig sexy Bildern zeigt, wird jedes Gehirn angeregt. Aber nur bei Frauen wird der Kortex, das Urteils-/Kontrollzentrum des Gehirn angeschaltet. Das Gehirn von Frauen verknüpft automatisch Verlangen und Sicherheitsbedenken. Das macht Sinn – Geschlechtsverkehr ist für Frauen buchstäblich weit riskanter. Dementsprechend müssen Frauen häufig den Beziehungs-Kontext überprüfen – als eine Art Vorspiel, ehe sie sich gestatten können, in bewusstes und aktives Verlangen überzugehen. Frauen, im Besonderen, können körperlich erregt sein (ihr Körper registriert ein Signal als sexuell relevant), müssen dieses aber nicht notwendigerweise in eindeutiges Verlangen übersetzen – das heißt, dass sie Sex wollen.
All die neuen Studienergebnisse zeigen, dass Frauen sensibler gegenüber Beziehungsangelegenheiten sind – Sicherheit – und so folgt bei ihnen häufig Verlangen auf Erregung (versus das klassische Model von Sexualität, bei dem Verlangen an erster Stelle steht). Verlangen ist eine Reaktion auf Interaktionen mit dem Partner. Beachten Sie: Das heißt, dass eine Frau völlig gesund und normal sein kann und trotzdem niemals spontanes sexuelles Verlangen verspürt. (Das ist die Studie von Chiver – Rosemary Basson). Diese Studie hilft mir dabei, Danny zu erklären, dass es nicht daran liegt, dass seine Frau ihn nicht begehrt, dass sie nicht auf ihn zukommt oder unmittelbar auf seine sexuellen Signale reagiert – und dass der emotionale Kontext, den er schafft, der Schlüssel dafür ist, ob sie sich in einem sexuellen Raum bewegen kann. Die Art, wie er Sex einfordert, aktiviert ihre sexuelle Bremse – drängt sie von einem sexuellen in einen sicheren Überlebens-Modus. Er muss neugierig werden, welche Signale dagegen ihr sexuelles Gaspedal aktivieren.
Bindungsforschung zeigt ebenso, dass eine liebevolle Beziehung uns zugleich eine sichere Basis bietet. Was mir das sagt, ist, dass guter Sex ein ‘sicheres Abenteuer’ ist. Tausende von Studien zeigen, dass sichere emotionale Verbindung Neugier und vertrauensvolle Erkundung nährt (Feeney’s Studie). Denken Sie an eine Hängebrücke – der Freiheitsrausch, den Sie empfinden, wird dadurch unterstützt, dass sie auf der Brücke stehen – Sie werden von ihr gehalten. Würden Sie auch „Huuiii“ rufen, wenn Sie sich nicht sicher wären, dass die Brücke hält?
Ich mag den Gesichtsausdruck dieser Dame – sie ist einladend – neugierig – präsent – sie ist bereit, zu experimentieren. Sie kommt von einer sicheren Basis – und man hat nicht das Gefühl, Sie würde sich Sorgen über Ihre Darstellung oder ihr sexuelles Selbstbild machen. Hunderte von Bindungsstudien zeigen, dass sichere emotionale Verbindung das Gegenteil von Abstumpfung ist – im Bett oder außerhalb. Sicherheit steigert Risikobereitschaft und Spontanität. Eine sichere Basis gestattet uns, zu spielen – zu lernen, den Körper und den Geist des anderen zu erkunden. Bei aufregendem Sex geht es darum, sich sicher genug zu fühlen, um sich in dem Moment hinzugeben – loszulassen und zu sehen, was passiert.
Was sind die Auswirkungen des Bindungskonzepts von Trennungsschmerz – der Einfluss dieses Gefühls von emotionaler Trennung und der Schmerz, den das für Sexualität auslöst? Wir wissen, dass Ablehnung sich im erwachsenen Gehirn verankert, auf dieselbe Weise wie körperlicher Schmerz – sie ist ein Gefahrensignal. Sie setzt Panik in Bewegung – Kampf und Stillstand. Diese Reaktionen bremsen Sexualität. Beides, Besessenheit von einem möglichen Verlust und einer Trennung oder angstvollen Abschottung aufgrund dieser ‘Gefahr’ tendieren dazu, ein bisschen vom erotischen Spiel abzulenken! Der Verlust des sexuellen Verlangens oder der Mangel an sexuellen Engagement zeugt häufig nicht von Vertrautheit, die uns einschlafen lässt, sondern von emotionaler Loslösung und körperlichem Mangel an Einstimmung, die damit einhergehen. All das ist interessant, aber vielleicht ist das wichtigste Gesetz über Bindung für Sexualität, dass – Zugänglichkeit, Zugewandtheit und Engagement (englisch A.R.E. Accessibility, Responsiveness, Engagement) die entscheidenden Merkmale von sicherer Bindung, und, wie ich argumentieren würde, optimaler Sexualität sind. Emotionale und körperliche Einstimmung, Zugänglichkeit und fokussierter wechselseitiger Einsatz – vollständige Präsenz – verkörpern guten Sex.
Wir können diese Qualitäten in dem leidenschaftlichsten und aufregendsten Tanz voll allen sehen – im Argentinischen Tango. Die offene und doch sichere Umarmung verhilft beiden Tänzern dazu, ihr Gleichgewicht zu halten – sich von Fehltritten zu erholen – Partner stimmen sich aufeinander ein und spiegeln die Bewegungen des anderen wider – synchron – bewegen sich durch körperliche Erinnerung – und reagieren unmittelbar auf tausend Signale. Es sind nicht die Schritte – die Technik der externen Darbietung, die diesen Tanz ausmachen. Hier geht es um Gefühl – es ist ein Fluss der Einstimmung der Partner, der den Tanz so schön und faszinierend macht – es ist die Intensität des Einsatzes zwischen den Partnern.
Das passt alles zur neuesten Hirnscan-Studie, die in unserem Labor gemacht wurde. Nach einer Therapie, die auf Bindungs-Gespräche fokussiert war, braucht ein Mann nur die Hand seiner Frau zu halten, um ihre Gehirn vollständigen zu beruhigen, in dem Moment, wenn sie an der MRI-Maschine angeschlossen war und auf einen kleinen Elektroschock an ihren Knöcheln wartete. Die Paare in dieser Studie steigerten die Sicherheit ihrer Bindung, UND sie berichteten von einer gesteigerten sexuellen Befriedigung nach der Therapie und in den zwei darauffolgenden Jahren, auch wenn bei vielen von ihnen der Fokus ihrer Therapie nicht auf Sexualität lag.
Ihr Bindungsstil spielt eine große Rolle
Bindungsforschung sagt, dass Ihr Bindungsstil oder Ihre gewohnte Verbindungsstrategie eine große Rolle dabei spielt, wie Sie Ihr Sexleben gestalten. Bindung bietet uns eine Karte, die uns Informationen über die Unterschiede gibt, wie wir Sex erleben, was uns als sexuelle Wesen motiviert und wie wir Sex kommunizieren. Die Schlüssel-Zutat für besseren Sex, den sichere Geliebte erleben, scheint die eingestimmte emotionale Präsenz zu sein. Wie wir uns emotional aufeinander einlassen, bestimmt, wie wir uns sexuell aufeinander einlassen. Hat die emotionale Musik mehr Abwechslung und Tiefen, ergibt das eine mehrdimensionale Erfahrung, bei der Geliebte Sex der erotischen Freude wegen haben, um sich nahe zu fühlen, ihren Partner zu befriedigen, Liebe auszudrücken und körperlich Erleichterung zu finden. Sichere Geliebte berichten von mehr Spaß und positiven Emotionen während des sexuellen Akts. Sicherheit nährt fantastischen Synchronie-Sex, und fantastischer Sex nährt sichere Bindung – und das ist ein ziemlich guter Feedback-Kreislauf.
Trostsex
In einer ängstlichen Bindung, wendet sich ein Partner dem sexuellen Akt eher zu, weil er einen Liebesbeweis braucht oder sich Zuneigung erhofft. Dauerhaft ängstliche Menschen tendieren dazu, Trostsex zu praktizieren, bei dem das Hauptziel es ist, sich wohl und BEGEHRT zu fühlen, die Erotik ist nur Nebensache. Sie wollen ihren Partner befriedigen, aber ihre eigene Angst frisst den Großteil ihrer Aufmerksamkeit auf. Danny sagt zu seiner Frau – „Wenn ich dir zu einem Orgasmus verhelfe – dann, dann, nur für einen Augenblick, glaube ich, dass du wirklich mich ausgewählt hast – mich willst.“ Wenn ich ihn frage, ob er seinen Orgasmus als befriedigend empfindet, sieht er mich nur an und sagt, „Ich will mir sicher sein, dass sie mich liebt.“
Emotionsloser Sex
Abgeschottete, vermeidend gebundene Partner konzentrieren sich überwiegend auf ihr eigenes Empfinden und ihre Leistung im Bett. In der typischen dauerhaft schmerzvollen Beziehung – in der Forderungs-/Rückzugs-Tänze überwiegen, gibt es immer mindestens eine Person, die sich in die vermeidende Bindung begibt. Mit DIESEM Fokus tendiert Sex dazu, ein einsames, eindimensionales Erlebnis zu werden, und tatsächlich berichten diese Partner von geringerer sexueller Befriedigung. Sex ohne emotionalen Einsatz ist wie Tanzen ohne Musik. LEER. Diese Art von Emotionslosem Sex scheint besonders zu der alten Pointe „Habe viel Spaß. Wünschte, ich wäre hier gewesen“ zu passen. Dauerhaft vermeidende Geliebten haben mehr One-Night-Stands, berichten von weniger Freude am Küssen und Kuscheln und befürworten eher erzwungenen Sex (wenn Sie abgeschottet sind – brauchen Sie extremere Empfindungen, um erregt zu werden). Das Bild vom vermeidenden Gelegenheits-Sex hier macht den Eindruck, als wäre es häufig das Trostpflaster, und nicht – wie so manchmal angebracht wird – eine reife erwachsene Akzeptanz der Idee, dass Neuartigkeit die ausschlaggebende Zutat von Leidenschaft und Verlangen ist.
Ein sicheres Paar kann alle drei Arten von Sex zu verschiedenen Zeiten haben: Sychronie-Sex, Trostsex, der sich auf Bestätigung konzentriert, und Emotionsloser Sex, mit dem alleinigen Fokus auf Körperempfindung. Aber es scheint, als würde es einen großen Unterschied in Beziehungen machen, wenn Paare in der Lage sind – zumindest hin und wieder – Sychronie-Sex zu praktizieren.
Sex ist ein Tanz – beängstigende und vermeidende Musik schränkt den Tanz ein. Und unsichere Bindung schränkt Sexualität ein.
Der Schauspieler Peter Ustinov sagte: „Sex ist ein Gespräch durchgeführt mit anderen Mitteln“. Wir lernen, liebevolle Gespräche zu gestalten. Gespräche, die zu einer physischen Synchronität und einem erotischen Spiel führen, die ein Leben lang dauern können. Wir lernen, wie man Sex und Bindung zusammenbringt. Wir müssen sicherlich nicht zwischen sicherer Bindung und Leidenschaft wählen – das eine ist eine sich ständig öffnende Tür in das andere.
© 2016 Dr. Sue Johnson
Originaltext: Attachment and the Dance of Sex: Integrating Couple and Sex Therapy
Übersetzung ins Deutsche: Raspberry Hill
Hat Ihnen der Beitrag geholfen?
Diese Seite teilen